Cornelia Heintze

Strukturelle Unterfinanzierung der ostdeutschen Kommunen – Befunde, Ursachen, Trends

Einleitung: Kommunalfinanzen allgemein

Seit Anfang der 90er Jahre stehen die kommunalen Haushalte unter erheblichem Finanzierungsdruck. Der Finanzierungssaldo ist seit 1992 überwiegend negativ. Nach Defiziten von jeweils um die 10 Mrd. DM in den Jahren 1992 bis 1994 war 1995 das Rekordjahr mit einem Gesamtdefizit von -14 Mrd. DM (ABL: -12,14; NBL: – 1,84 Mrd. DM). Auch in den Jahre 1996 und 1997 wurden weiter Defizite angehäuft, jedoch deutlich reduziert. Erstmals 1998 konnte dann in den alten Ländern wieder ein positiver Finanzierungssaldo von 5,6 Mrd. DM erwirtschaftet werden. Auf reduziertem Niveau ebenso im Jahr 1999 und wider Erwarten auch noch im Jahr 2000. Die Entspannung war jedoch von kurzer Dauer und weitestgehend auf Westdeutschland beschränkt.

Bei der Bewertung ist bezogen auf die alten Länder folgendes zu berücksichtigen:

  • •Die West-Kommunen haben ihre Ausgaben im Rahmen von Konsolidierungsprogrammen starkzurückgefahren. Das Ausgabenwachstum war im Zeitraum 1995 bis 1998 negativ. DieGesamtausgaben sanken von 236 Mrd. DM (1995) auf 225 Mrd. DM (1998) und damit nominal umfast 5 Prozent. Hinter diesem Rückgang stehen zwei Hauptstrategien. Erstens wurde dieWachstumsdynamik im Bereich der großen Ausgabenblöcke Personal und Soziale Leistungengekappt. Es wurde Beschäftigung abgebaut, teilweise auch durch Outsorcing und einStrategiewechsel bei den Sozialleistungen (Doppelstrategie von restriktivererLeistungsgewährung und aktiver Betreuungs- wie Beschäftigungspolitik) eingeleitet. DieseStrategie war aus Haushältersicht relativ erfolgreich. Die Ausgaben für Personal bliebenim Zeitraum 1995 bis 1998 stabil bei 61 Mrd. DM; die Ausgaben für soziale Leistungenkonnten um mehr als 10 Prozent gesenkt werden, und zwar von 50,5 Mrd. DM (1995) auf 44,8Mrd. DM (1998). Den Hauptbeitrag zur Konsolidierung leistete jedoch eine massiveInvestitionszurückhaltung. Die Ausgaben für Sachinvestitionen wurden um ein Viertelabgebaut: sie sanken von 46,5 Mrd. DM (1992) auf 34,8 Mrd. DM (1998).
  • •Die Einnahmeseite leistete per saldo keinen Beitrag zur Haushaltskonsolidierung. Von1994 bis 1997 stagnierten die Einnahmen (1994: 228,3 Mrd. DM; 1995: 224,1 Mrd. DM; 1996:227,5 Mrd. DM; 1997: 222,1 Mrd. DM). Ein deutliches Plus konnte erstmals wieder 1998erzielt werden. Es basierte auf einem wieder deutlichen Anstieg der Steuereinnahmen (+ 8Prozent gegenüber 1997). Das Plus bei den direkten Steuereinnahmen schlug sich mittelbarauch in erhöhten Schlüsselzuweisungen der Länder nieder. Mit 230,9 Mrd. DM lagen dieEinnahmen um 4 Prozent über dem Vorjahresniveau, die Ausgaben als Ergebnisausgabenseitiger Konsolidierung gegenläufig dazu um knapp ein Prozent unterVorjahresniveau.
  • •Obwohl die westdeutschen Kommunen seit Mitte der 90er Jahre in teilweise erheblichemUmfang dazu übergingen, Kommunalvermögen zur veräußern, konnte auch über den Einsatzvon Veräußerungserlösen (1997: 10,5 Mrd. DM; 1998: 13,1 Mrd. DM) im Ergebnis kaum mehrbewirkt werden als ein kurzfristiges Stopfen von Haushaltslöchern. Zwar wurdenVeräußerungserlöse auch zur Tilgung von Kapitalmarktkrediten eingesetzt. Da in denHaushaltsbüchern die Kassenkredite im saldo jedoch stärker stiegen als der Abbau dersozusagen regulären Verschuldung, nahm die Gesamtverschuldung selbst im Jahr 2000gegenüber 1999 nochmals zu (gesamtdeutsch um 1,1 Prozent auf 186,7 Mrd. DM).

Die Wiedererlangung eines positiven Finanzierungssaldos Ende der 90er Jahre, der zeitversetzt im Jahr 2000 auch die neuen Länder erreichte, war insgesamt gesehen nicht Ausdruck einer nachhaltigen „Gesundung“ der Kommunalfinanzen. Wesentlich war er Ergebnis der von vielen Kommunen verfolgten Konsolidierungs- und Modernisierungsstrategien; daneben gab es kurzfristig wirksame Sonderfaktoren. Über Haushaltskonsolidierung und die Einführung neuer Steuerungsmodelle konnte und kann einiges erreicht werden. Dies dort, wo Leistungen ineffizient erstellt werden und die Kommunen über ihre Verhältnisse leben. Die Konsolidierungspotentiale sind mittlerweile jedoch weitgehend ausgeschöpft. Damit schlagen die Faktoren wieder voll durch, die sich der Gestaltung durch die Kommunen entziehen. Strukturell bleiben die Kommunalfinanzen in der Schieflage, da die übergeordneten Ursachen der kommunalen Finanzkrise nicht angegangen wurden. Weder wurde das seit vielen Jahren überfällige Projekt einer grundlegenden Gemeindefinanzreform angepackt, noch haben Bund und Länder Abschied davon genommen, Gesetze zulasten kommunaler Haushalte zu verabschieden. Die Steuersenkungspolitik und Steuerabschaffungspolitik (Vermögensteuer) der letzten Jahre ist mit Einnahmeverlusten der Gemeinden von insgesamt 12,3 Mrd. DM kalkuliert und es ist absehbar, dass die erwarteten Selbstfinanzierungseffekte nicht eintreten. Im laufenden Jahr 2001 werden die Einnahmen der Städte, Gemeinden und Kreise nicht zuletzt als Ergebnis der Steuerreform um durchschnittlich mindestens 2 Prozent zurückgehen. Die kommunalen Spitzenverbände erwarten ein neuerliches deutliches Finanzierungsdefizit von 5 bis 6 Milliarden DM. Dass diese Erwartungen realistisch sind, zeigen die Ergebnisse der vierteljährlichen Kassenstatistik. Die gemeindlichen Steuereinnahmen gingen im 1. Quartal 2001 gegenüber dem 1. Quartal 2000 bundesweit um 4,5 Prozent zurück (ABL: -5,1%; NBL: +1,8 %). Der kommunale Finanzierungssaldo betrug Ende des 1. Quartals 2001 – 6,8 Mrd. DM.

Gewerbesteuereinbruch

„Durch die Anhebung der Gewerbesteuerumlage wird eine angemessene Beteiligung der Gemeinden an der Finanzierung der Nettoentlastungen der Reform sichergestellt. Von den finanzierenden Maßnahmen der Unternehmenssteuerreform, die auf den Ausgleich der Mindereinnahmen von Bund und Ländern bei der Körperschaftsteuer gerichtet sind, profitieren über die Gewerbesteuer auch die Gemeinden……….Ohne Anpassung der Gewerbesteuerumlage würden Bund und Länder die Reform allein finanzieren, während die Gemeinden Mehreinnahmen in Milliardenhöhe zu verzeichnen hätten…………..

Daher ist die Anhebung der Gewerbesteuerumlage so ausgestaltet, dass den Gemeinden in etwa nicht mehr Einnahmen abgeschöpft werden, als an Gewerbesteuermehreinnahmen zu erwarten sind“ (BMF: Bundespolitik und Kommunalfinanzen, Berlin Juni 2001)

Nach der Gewerbesteuerumfrage der kommunalen Spitzenverbände gibt es im laufenden Jahr einen beispiellosen Absturz der Gewerbesteuereinnahmen von über 28 Prozent bei den westdeutschen Kommunen (drittes Quartal) und von um die 16 Prozent in den ostdeutschen Städten (erste drei Quartale). Nachdem das Gewerbesteueraufkommen in den Jahren 1999 und 2000 jeweils bei fast 53 Mrd. DM lag, wird im Jahresergebnis 2001 mit einem Aufkommen von deutlich unter 50 Mrd. DM gerechnet.

Der Verfall ist wesentlich den jüngsten Steuerreformen geschuldet. Das BMF hatte die Auswirkungen des Steuersenkungsgesetzes auf die Städte und Gemeinden mit minus 4,5 Mrd. DM im Rechnungsjahr 2001 kalkuliert. Bis 2005 sollten die Einnahmeverluste ausschließlich aus dem Einkommensteuerbereich resultieren, während im Gewerbesteuerbereich ein starkes Wachstum angenommen wurde. Begründet wurde die Erwartung steuerrechtsbedingter Mehreinnahmen bei der Gewerbesteuer mit der Absenkung der degressiven Abschreibung und der Verlängerung der Nutzungsdauer von Anlagegütern. Die Möglichkeit von Gewerbesteuermindereinnahmen aufgrund von u.a. der Steuerbefreiung von Gewinnen aus der Anteilsveräußerung von Kapitalgesellschaften wurde vom BMF ebenso wenig berücksichtigt wie der Umstand, dass die vom Bund erlösten UMTS-Milliarden unternehmensseitig Aufwendungen sind, die den Gewerbeertrag und damit das Gewerbesteueraufkommen mindern. Um Belastungssymmetrie (vgl. obiges BMF-Zitat) zu erreichen, wurde die Gewerbesteuerumlage erhöht. In 2001 beanspruchen Bund und Länder nunmehr in den alten Ländern gut 23 Prozent und in den neuen Ländern fast 15 Prozent des Gewerbesteueraufkommens für sich (im Jahr 2000 waren es gesamtdeutsch rd. 22 Prozent). Bis zum Jahr 2004 werden diese Abschöpfungssätze sogar auf fast 30 Prozent in den alten und rd. 22 Prozent in den neuen Ländern ansteigen. Die kommunalen Spitzenverbände hatten bei der Beratung des Steuersenkungsgesetzes auf die Risken hingewiesen und die Forderung gestellt, dem durch z.B. eine Befristung Rechnung zu tragen. Bund und Länder wollten sich darauf nicht einlassen. Fakt ist jedoch: Statt des prognostizierten Gewerbesteuerwachstums gibt es einen Gewerbesteuereinbruch und dieser Einbruch lastet doppelt auf den Kommunen, da sie von einem geschrumpften Brutto-Aufkommen wegen der erhöhten Umlage auch noch relativ mehr an Bund und Länder abführen müssen. Das Gewerbesteueraufkommen ist übrigens bereits im 1. Quartal 2001 (IST-Zahlen nach Kassenstatistik) im Vorjahresvergleich um 344 Mio. DM gesunken. Konjunkturelle Faktoren spielten da nur eine geringe Rolle. Erstens weil es konjunkturbedingt noch kaum Herabsetzungen bei Vorauszahlungen gegeben haben dürfte (erst in der zweiten Jahreshälfte 2001 gab es gehäuft Gewinnwarnungen). Zweitens weil die Gewerbesteuereinnahmen des Jahres 2001 primär aus dem Veranlagungszeitraum 1999 resultieren. Zwar war die Gewinnsituation in 1999 schlechter als im florierenden Geschäftsjahr 1998, aber von einem Konjunktureinbruch konnte in 1999 noch keine Rede sein. Der jetzige Konjunktureinbruch wird sich in den Haushaltsjahren 2003/2004 niederschlagen.

Wie vom Bundesrat gefordert, erscheint zwingend, dass im Rahmen des Unternehmensteuerfortentwicklungsgesetzes Dividenden aus Streubesitz und Veräußerungsgewinne wieder in die Gewerbesteuerpflicht mit hineingenommen werden. Die Möglichkeiten der Unternehmen, durch konzerninterne Umstrukturierungen die Zahlung von Gewerbesteuer zu vermeiden („gewerbesteuerliche Organschaft“), dürfen nicht – wie im Gesetzentwurf des Bundes vorgesehen – erleichtert, sondern sollten eingeschränkt werden.

Außerdem muss die Erhöhung der Gewerbesteuerumlage rückgängig gemacht werden, und zwar um so stärker, je weniger der Gesetzgeber bereit ist, die den Unternehmen eingeräumten steuerlichen Gestaltungsmöglichkeiten rückgängig zu machen. Von als Folge von Steuerrechtsänderungen geschrumpften Einnahmen kann nun einmal nichts abgeschöpft werden. Die Bundesregierung sollte zugeben, dass sie in neoliberalem Übereifer ihrer Steuerreform Wirkungen zugeschrieben hat, die in wesentlichen Teilen nicht eintreten. Bei der Gewerbesteuer ist das Gegenteil eingetreten, auch wenn neben der Steuerreform weitere Faktoren zur Erklärung herangezogen werden können.

Finanzierungssituation ostdeutscher Kommunen – Allgemeines

Von kommunaler Finanzhoheit als Voraussetzung gelebter kommunaler Selbstverwaltung kann in den Ostkommunen keine Rede sein. Die Ausgaben werden zu über 50 Prozent aus Bundes- und Landeszuweisungen finanziert (vgl. Tab. 1). Dies gilt Ende der 90er Jahre genauso wie Anfang und Mitte der 90er Jahre (1992: 54,5vH; 1995: 55vH; 1999: 55,1vH). Eine strukturelle Verbesserung der Finanzierungssituation ist bislang nicht eingetreten. Dies obwohl die Ausgaben Ende der 90er Jahre um rd. 10 Prozent unter dem Niveau von Anfang und Mitte der 90er Jahre lagen und damit vermutlich stärker gesunken sind, als allein über den Rückgang der Bevölkerung erklärt werden könnte.

Die Kommunalfinanzen der neuen Länder weisen auch 10 Jahre nach der Deutschen Einheit grundlegende Unterschiede zur Situation im Durchschnitt der Westkommunen auf. Am markantesten sind die Unterschiede im Bereich der originären Einnahmen. Sie bleiben weit hinter dem Westniveau zurück. Zwar werden beim Umsatzsteueranteil über vier Fünftel des Westniveaus erreicht und auch die Gebühreneinnahmen belaufen sich mittlerweile auf rd. zwei Drittel des Westniveaus. Die Steuerbasis der Städte und Gemeinden in den neuen Ländern bleibt jedoch außerordentlich schwach. Die Ostkommunen erreichen bei den steuerlichen Haupteinnahmequellen im Schnitt weniger als 40 Prozent des Westniveaus. Diese Diskrepanz nachhaltig zu vermindern, ist bislang nicht gelungen. Wie aus Tabelle 1 ersichtlich, ist lediglich bei der Gewerbesteuer ein Rückgang des West-Ost-Gefälles zu verzeichnen. Gegenläufig dazu hat die Diskrepanz beim Einkommensteueranteil jedoch wieder zugenommen. Nach den mittlerweile vorliegenden Ist-Zahlen des Jahres 2000 – Tabelle 1 enthält für 2000 nur Schätzzahlen – ist auch aktuell keine Besserung in Sicht. Zwar konnte 2000 mit + 8,2 Prozent bei der Gewerbesteuer ein kräftiger Zuwachs auf nun 3 Mrd. DM realisiert werden, gleichzeitig ging der Einkommensteueranteil jedoch um 13,2 Prozent zurück auf noch 2,25 Mrd. DM. In DM-Beträgen pro Einwohner erzielten die ostdeutschen Gemeinden im Jahr 2000 nur ein durchschnittliches Steueraufkommen von 591 DM gegenüber durchschnittlich 1.494 DM im Westen.

Der bislang ausgebliebene Angleichungsprozess bei der Einkommensteuer ist Ergebnis mehrerer Faktoren. Eine Ursache ist die weiter rückläufige Beschäftigungsentwicklung mit schwacher Zunahme der Bruttolohn- und Gehaltssumme. Hinzu kommt das massive Zurückbleiben bei der veranlagten Einkommensteuer. Allerdings werden durch eine neue Datenbasis bei der Lohnsteuerzerlegung zwischen West und Ost erhebliche Mittel (1998 über 670 Mio DM) von West nach Ost transferiert. 1998 machte dies ein Viertel der Einnahmen aus Lohn- und Einkommensteuer sowie dem Zinsabschlag aus. Da der größte Betrag freilich erst in 1999 (Spitzabrechnung für 1998) kassenwirksam wurde, ist die in 1999 erreichte Steuerzuwachsrate durch diesen Effekt überzeichnet. Von signifikantem Einfluss ist ein weiterer Faktor. Der Bund zwang die Kommunen in die Mitfinanzierung der Familienförderungsleistungen durch Verrechnung des Kindergeldes mit der Lohn- und Einkommenssteuer. Wegen des unterdurchschnittlichen Aufkommensniveaus bei der Lohn- und EKSt wirkt sich die Verrechnung des Kindergeldes infolge der Systemumstellung beim Familienleistungsausgleich ab 1996 hier weit stärker aus als bei den Westkommunen (Rückgang um 30vh). Der Umbau des Familienleistungsausgleichs trifft strukturschwache Städte und Gemeinden mit niedrigem Einkommensteuerniveau und überdurchschnittlichen Kindergeldbelastungen überproportional. Da sich das Gros dieser Städte und Gemeinden jedoch in den neuen Bundesländern findet, hat die West-Ost-Diskrepanz beim Einkommensteueranteil auch aus diesem Grunde seit Mitte der 90er Jahre wieder zugenommen.

Einen Angleichungsprozess Richtung alte Länder gibt es lediglich bei der Struktur der Ausgaben. In Tabelle 2 habe ich die Haushaltsanteile (in vh der bereinigten Gesamtausgaben) zusammengestellt. Es wird ersichtlich, dass der Personalausgabenanteil Anfang der 90er Jahre im Osten deutlich höher lag als im Westen (34,5vH zu 26,1 vH). Der Anteil wurde zwischenzeitlich auf unter 30vH zurückgeführt, womit sich die Diskrepanz zu den Westkommunen halbiert hat. Annäherungen gibt es auch bei den Zinsausgaben. Zwar starteten die Ostkommunen quasi schuldenfrei. Die fortgesetzte Erwirtschaftung eines negativen Finanzierungssaldos führte jedoch schon binnen einer Dekade zur Angleichung an das Westniveau. Ohne Trendwende wird die Zinsausgabenquote bald über Westniveau liegen. Auch bei den Sozialleistungen nähern sich die Ausgabenquoten an. Die Diskrepanz ist von über 10 Prozent (1992) auf unter 7 Prozent gesunken. Die Entwicklung setzte sich im Jahr 2000 fort, wenn auch mit geringerer Dynamik als geschätzt. Die Sozialleistungen stiegen bundesweit um 2 Prozent, in den neuen Ländern jedoch um +3,6 Prozent.

Wegen des hohen Nachholbedarfs bei der Infrastruktur liegt der Anteil der Sachinvestitionen an den Gesamtausgaben in den neuen Ländern deutlich höher als im Westen. Verglichen mit Anfang der 90er Jahre, wo ein Drittel der Ausgaben für Investitionen verwandt wurde, sind es jetzt nur noch ein Viertel verglichen mit rd. einem Sechstel in den alten Ländern. Da es weiterhin eine erhebliche Lücke beim öffentlichen Anlagevermögen der neuen Länder gibt, ist dieser Rückgang außerordentlich problematisch. Gerade die Entwicklung im Jahr 2000 zeigt, dass die Investitionsetats bei den unter Konsolidierungsdruck stehenden Ost-Haushalten als Manövriermasse fungieren. Während in den Westkommunen hinter dem in 2000 erwirtschafteten Finanzierungsüberschuss ein Ausgabenwachstum von +1,6 Prozent und ein Einnahmenwachstum von +1 Prozent stand, erzielten die Ostkommunen den erstmaligen kleinen Positivsaldo dadurch, dass die Ausgaben wesentlich durch Einschränkung der Investitionstätigkeit – die Investitionsausgaben wurden um -9,1 Prozent zurückgefahren und erreichten nur noch 10,9 Mrd. DM – mit minus 3,2 Prozent stärker abnahmen als die Einnahmen mit minus 1,9 Prozent.

Große interkommunale Diskrepanzen – wie auch im Westen

Hinter der Durchschnittsentwicklung stehen im Detail sehr unterschiedliche Entwicklungen. Dies gilt im Durchschnitt nach Ländern ebenso wie im länderübergreifenden interkommunalen Vergleich. In Tabelle 3 habe ich einen interkommunalen Vergleich vorgenommen. Es gibt Oasen mit starker wirtschaftlicher Dynamik wie z.B. Zwickau, wo das Pro-Kopf-Gewerbesteueraufkommen von 1995 bis 1999 um 250 Prozent gestiegen ist. Auf der anderen Seite finden sich Städte, deren Perspektiven heute noch düsterer sind als Mitte der 90er Jahre. Die Städte mit positiver Steuereinnahmenentwicklung erreichen im Einzelfall bessere Zahlen als die steuerschwächsten westdeutschen Städte. So erzielte in der Größenklasse von 20.000 bis 50.000 Einwohnern Wernigerode 1999 ein Gewerbesteueraufkommen (netto pro EW) von 430 DM während Völklingen nur auf 212 DM (netto pro EW) kam. Die ostdeutsche Stadt mit dem in der genannten Größenklasse höchsten Gewerbesteuer-Aufkommen erzielte damit doppelt so hohe Steuereinnahmen pro Einwohner wie die westdeutsche Stadt mit dem geringsten Gewerbesteueraufkommen. Nun ist dies freilich eher ein Ausreißer. Generell können zwei Beobachtung gemacht werden:

  • •Die ostdeutchen Städte mit dem höchsten Steueraufkommmen erreichen in etwa das Niveauder westdeutschen Städte mit dem geringsten Steueraufkommen. Dies jeweils bezogen auf diegleiche Gemeinde-Größenklasse.
  • •So wie es unter den Ostkommunen ein starkes Gefälle gibt, gibt es auch unter denWestkommen ein starkes Gefälle. Insgesamt ist das Gefälle im Westen derzeit nochgrößer als im Osten. Bei Städten über 100.000 EW lagen diePro-Kopf-Gewerbesteuereinnahmen 1999 in der „reichsten“ westdeutschen Stadt 8malso hoch wie in der „ärmsten“ westdeutschen Stadt, während die reichsteostdeutsche Stadt nur gut dreimal höhere Pro-Kopf-Gewerbesteuereinnahmen erzielte wie dieärmste ostdeutsche Stadt. In der Größenklasse von 20.000 bis 50.000 EW lauten dieentsprechenden Zahlen 8mal höher zu 6mal höher. In dem Maße wie sich die dynamischenostdeutschen Wachstumsregionen jedoch von den Regionen entfernen, die von der Entwicklungabgekoppelt sind und bleiben, werden sich die Diskrepanzen verstärken. Dies dann freilichauf einem verglichen mit den Westkommunen insgesamt niedrigeren Niveau.

Finanzausgleichsregelungen

Die Ostkommunen werden noch auf Jahre am Tropf ihrer Länder hängen.

Im Vergleich zu den Westkommunen erhielten sie Mitte der 90er Jahre das Doppelte an laufenden Zuweisungen und mehr als das Dreifache an staatlichen Investitionszuweisungen. Die laufenden Zuweisungen wurden im Rahmen einer restriktiveren Finanzausgleichspolitik der Ostländer in den letzten Jahren deutlich zurückgefahren; die Investitionszuweisungen gingen absolut gleichfalls zurück, erreichten relativ zum Westen Ende der 90er Jahre jedoch ein noch höheres Niveau als Mitte der 90er Jahre (vgl. Tab. 1). Dahinter steht, dass nicht nur in den West-, sondern auch in den Ostkommunen die Investitionsausgaben seit Jahren auf Talfahrt sind. Längst ist – auch gesamtwirtschaftlich gesehen – ein bedenklicher Tiefstand erreicht, denn öffentliche Investitionen sind ganz überwiegend Investitionen von Kommunen und Deutschland liegt schon seit einiger Zeit beim BIP-Anteil, der auf öffentliche Investitionen verwandt wird, weit unter EU-Durchschnitt.

Die ostdeutschen Länder stehen gegenüber ihren Kommunen in einer besonderen Finanzierungsverantwortung. Sie müssen im Rahmen ihrer FAG-Politik sicherstellen, dass die unzureichende originäre Finanzausstattung der Städte und Gemeinden mit Blick auf die Ausgabenstruktur und damit den Finanzbedarf ausgeglichen wird. Gerade wg. der Knappheit der Mittel erhält die bedarfsgerechte Verteilung besondere Bedeutung. Fiskalische und redistributive Ziele müssen gleichermaßen erreicht werden. Zum einen muss sichergestellt werden, dass die Kommunen über die Finanzmittel verfügen, die zur sachgerechten Aufgabenerledigung erforderlich sind. Dies muss einen Spielraum für freiwillige Selbstverwaltungsaufgaben mit umfassen. Zum anderen bedarf es einer Orientierung der Schlüsselzuweisungen auch am Ziel eines bedarfsgerechten Leistungsausgleichs zwischen Kernstädten und Umlandgemeinden. Es kommt hinzu, dass nur unter der Bedingung einer leistungsfähigen Finanzausgleichspolitik bei den Investitonszuweisungen der weitere Ausbau einer funktionierenden kommunalen Infrastruktur gelingen kann.

KFA-Konstruktionsmerkmale am Beispiel Sachsen

Schon aufgrund der Unterschiede in der finanziellen Leistungsfähigkeit der neuen Länder differieren die Zuweisungen je Einwohner. Im Jahre 2000 lagen sie im Durchschnitt bei 1.506 DM. Sachsen und Sachsen-Anhalt lagen über dem Durchschnitt (1.590 DM und 1.738 DM); die anderen Länder darunter, wobei Mecklenburg-Vorpommern mit 1.239 DM das Schlusslicht bildete.

Nicht nur die finanzielle Leistungsfähigkeit auch die Finanzausgleichssysteme variieren von Bundesland zu Bundesland. Beispielhaft möchte ich kurz das sächsische System in seinen Grundzügen skizzieren; in Brandenburg bestehen ähnliche Regelungen. Die für die Kommunen bestimmte Finanzausgleichsmasse errechnet sich in Sachsen anhand des Landesauskommens aus bestimmten Steuern und Zuweisungen. Die Verbundquote betrug im Jahr 2000 26,365vH, was in der Planung (incl. eines Korrekturfaktors) eine Ausgleichsmasse von gut 6 Mrd. ergab. Wie auch in allen anderen Ländern bilden die allgemeinen Schlüsselzuweisungen zur Auffüllung fehlender Steuerkraft das Herzstück des Kommunalen Finanzausgleichs (KFA).  Auf die so definierten allgemeinen und investiven Schlüsselzuweisungen entfielen 2000 mit 5,47 Mrd. DM 90,6 vh der Finanzausgleichsmasse. Betrachtet man nur die allgemeinen Schlüsselzuweisungen, so lag der Anteil im Jahr 1998 bei 83vH (Brandenburg: 80vH). Neben den Schlüsselzuweisungen, den je nach Bundesland unterschiedlichen Sonderausgleichen und den Bedarfzuweisungen für z.B. Kommunen mit besonderer Haushaltsnot gibt es Kostenerstattungen für die Aufgaben, die die Kommunen als Auftragsangelegenheiten wahrnehmen. In Sachsen gibt es hierfür finanzkraftunabhängige Auftragskostenpauschalen, die anders als in anderen Bundesländern in die Schlüsselzuweisungen integriert sind.

Wesentliches Konstruktionsmerkmal des sächsischen KFA ist die Verteilung der Gesamtschlüsselmasse auf drei getrennte Säulen: kreisfreie Städte, kreisangehörige Städte und Landkreise. Dies hat Vor- und Nachteile. Einerseits differiert die Aufgabenstruktur in den drei Kategorien von Kommunen. Andererseits könnte bei Aufgabe der Trennung stärker auf interkommunale Unterschiede und laufende Verschiebungen reagiert werden.

Die zentrale Philosophie der sächsischen Finanzausgleichspolitik basiert auf dem Gleichmäßigkeitsgrundsatz. Die Höhe der Zuweisungen wird auf der Grundlage einer umfassenden Bewertung der gesetzlich ermöglichten eigenen Kommunaleinnahmen und der aufgabenbedingten Ausgaben im Rahmen der finanziellen Leistungsfähigkeit des Landes bestimmt. Konkret bedeutet dies: die Gesamteinnahmen der Kommunen aus Steuern und Zuweisungen sollen sich parallel zur Entwicklung der dem Freistaat verbleibenden Finanzmasse aus Steuern sowie dem LFA abzüglich der den Kommunen zufließenden Steuerverbundmasse, damit also gleichmäßig zu den Netto-Gesamteinnahmen des Landes entwickeln. Problem: die Zauberformel „Gleichmäßigkeitsgrundsatz“ blendet die Entwicklung von Aufgaben und Ausgaben völlig aus. Da jedoch der Kommunalisierungsgrad, d.h. der Kommunalanteil am gesamten Aufgabenvolumen einem starken Wandel unterliegt und auch durch Standarderhöhungen bei der Erfüllung gesetzlicher Pflichtaufgaben Ausgabensteigerungen begründet sein können, bedarfs es zwingend des Einbaus von Anpassungsregeln auf laufende Strukturveränderungen.

Es zeichnet sich folgender Weiterentwicklungsbedarf des KFA ab:

Bei Beibehaltung des Drei-Säulen-Modells sollte, um einen endogenen Steuerkraftausgleich zu ermöglichen, eine zweite Stufe des Gleichmäßigkeitsgrundsatzes eingebaut werden. Ziel: Sicherstellung, dass sich die Pro-Kopf-Finanzkraft im kreisfreien und im kreisangehörigen Raum gleichmäßig entwickelt. Durch Suburbanisierungstendenzen findet nämlich auch in den neuen Ländern eine Abwanderung von Steuergrundlagen aus den kreisfreien Kernstädten in den kreisfreien Raum statt. Durch bei kreisfreien Städten relativ stärker steigende Schlüsselzuweisungen könnte hier gegengesteuert werden. Dies zumindest solange, wie die Einkommensteuerverteilung die Folgen der zentrifugalen Entwicklung nicht ausgleicht.

Auch die höchst unterschiedliche Entwicklung der sozialen Lasten bedarf eines Ausgleichs. Da sich soziale Problemgruppen in kreisfreien Städten konzentrieren, übernehmen diese auch für das Umland Soziallasten. Nach meinem Kenntnisstand besteht auch Einigkeit über die baldige Einbringung eines Soziallastenansatzes in das FAG-Recht. Inwieweit Sachsen diese Gesetzesnovellierung mittlerweile jedoch durchgeführt hat, entzieht sich meiner Kenntnis.

Ob und wie ein Zentralitätsansatz eingebracht werden könnte, ist in West wie Ost gleichermaßen strittig. Wie soll Zentralität gemessen und gewichtet werden. Theoretisch könnten die Umlandgemeinden auch auf Basis bilateraler Verträge zu direkten Finanzausgleichsleistungen herangezogen werden. Auf rein freiwilliger Basis wird dies jedoch nur sehr eingeschränkt dann möglich sein, wenn die Kernstädte die Bürger der Umlandgemeinden von der Nutzung bestimmter Leistungen ausschließen. Dies würde die Umlandgemeinden dazu zwingen, die Kosten der Eigenerbringung der jeweiligen Leistungen gegen eine finanzielle Beteiligung an den Defiziten, die den Kernstädten entstehen, abzuwägen. Da hier jedoch die Gefahr besteht, dass Verteilungskämpfe auf dem Rücken der Bürger ausgetragen werden, sollte nach gesetzlichen Regelungen gesucht werden.

Delmenhorst, den 30. Oktober 2001

Anlage: Kommunalfinanzen in den neuen Ländern

Tabelle 1: Kommunalfinanzen 1995 und 1998 bis 2000 im Überblick

Einnahmen/Ausgaben19951998199920001995199819992000
 Mrd. DMin % des Westniveaus
Gesamteinnahmen57,6551,3350,8050,10111,198,495,494,4
dar. Steuern insgesamt Gewerbesteuer (netto) (Umsatzsteueranteil
Einkommensteueranteil
7,54
1,72
x
4,30
7,75
2,85
0,65
2,23
8,24
2,77
0,73
2,59
8,40
3,10
0,76
2,30
41,6
25,9
x
49,4
39,3
37,7
73,8
27,3
39,8
34,7
72,9
30,6
39,8
39,0
73,1
26,4
Gebühren5,094,384,354,4066,264,866,368,8
Laufende Zuweisungen von Land/Bund24,8620,9420,9321,00201,3180,6173,0166,5
Investitionszuweisungen von Land/Bund7,867,697,307,00310,8347,9337,2316,1
Veräußerungserlösex3,142,672,50105,992,7105,4
Sonstige Einahmen12,307,437,316,80109,983,282,680,9
Ausgaben59,4952,1651,2251,00108,7102,498,395,8
dar. PersonalSachaufwand
17,71
10,39

15,27
9,62

15,18
9,64

14,90
9,80

128,9
111,9

111,0
101,9

108,9
96,6

105,2
97,5
Soziale Leistungen8,496,426,506,957,563,464,665,5
Zinsen1,501,751,731,875,584,087,593,7
Sachinvestitionen15,7212,9012,0011,30206,9163,9145,5134,4
Sonstige Ausgaben5,686,206,179,9068,381,177,977,4
Finanzierungssaldo-1,84-0,83-0,420,90xxxx

Tabelle 2: Struktur der kommunalen Ausgabenarten

Einnahmen/AusgabenAlte Länder (in vH)Neue Länder (in vH)
 1992199519981999200019921995199819992000
Personalausgaben26,125,827,026,726,634,529,629,329,629,2
Laufender Sachaufwand18,117,418,519,118,918,817,618,418,819,2
Soziale Leistungen17,521,419,919,319,87,014,312,312,713,5
Zinsausgaben4,34,14,13,83,61,02,53,43,43,5
Sachinvestitionen
insgesamt
Baumaßnahmen

21,1
16,5

16,9
13,2

15,5
11,6

15,8
11,5

15,8
11,5

32,5
27,8

26,6
23,1

24,7
21,5

23,4
20,4

22,2
19,4

Quellen: Gemeindefinanzberichte; eigene Zusammenstellung (Zahlen für 2000 geschätzt)Tabelle 3: Gefälle bei Steuereinnahmen in den Jahren 1995 und 1999

19951999
 GewerbesteuerGemeindeanteil
EKSt (Mio. DM/in DM/EW)
GewerbesteuerGemeindeanteil EKSt (in Mio. DM)
 Brutto-E. (in Mio. DM)Netto-E. (in DM/EW)HebesatzBrutto-E. (in Mio. DM)Netto-E. (in DM/EW)Hebesatz
Alte Länder
über 500.000EW
Frankfurt a.M.1.029,81.849515511/7752.4013.080515485
Düsseldorf8411.204450475/8261.0211.465460451
Hannover543,5943460343/6547901.244460273
Duisburg220,1337450301/560279421450288
Durchschnitt.854433..1.156465.
200.000 – 500.000 EW
Wiesbaden314963460221/8144121.292460203
Münster303938440172/6434371.318440173
Oberhausen81302450132/583108403450129
Durchschnitt.590434.683440.
100.000 – 200.000 EW
Wolfsburg4222.65936083
Heilbronn13586638072/589170106638077
Hamm6730242091/5018437945094
50.000 – 100.000 EW
Aschaffenburg7896338542/644..
Emden1121.70642023
Tübingen3128036047/5564137136049
Durchschnitt475378..511382.
20.000 – 50.000 EW
Coburg671.17036031/697921.68836030
Völklingen1426447020/4441121247016
Durchschnitt.483359606.501363.
Neue Länder
über 100.000 EW
Erfurt7634340059/X8336040040
Zwickau3126441033/X7766442022
Halle (Saale)4313440082/X6019640068
Berlin/Ost191128300465/X268198410525
Cottbus1611236045/X3324938034
Durchschnittrd. 180rd. 385x
50.000 – 100.000 EW
Brandenburg a.d.H.18177350243334535020
Gotha1016539015/X142533909
Görlitz67342021/X1115942014
Durchschnitt123366..170380
20.000 – 50.000 EW
Hennigsdorf b. Berlin279362509/X....
Wernigerode....174304007
Luckenwalde31103009/X2743005
Zittau25235010/X61933805
DurchschnittX147322X.182357.

Quellen: Gemeindefinanzberichte; eigene Zusammenstellung (Gotha hatte 1999 unter 50.000 Einwohner)