Keine Weichenstellung Richtung Nachhaltigkeit

von Cornelia Heintze

Die Ernsthaftigkeit von Politik zeigt sich an ihren Ergebnissen, nicht an ihren Versprechungen. Und gemessen an den Ergebnissen ist die Verkehrspolitik eines der Politikfelder, wo Politik in besonders drastischer Weise versagt. Was wurde nicht alles versprochen von „Mehr Güter auf die Schiene“, dem sauberen Auto bis zur „Bahn-Rennaissance im Personenverkehr“. Keines der Ziele wurde erreicht. Im Gegenteil. Die Schiene verliert bei Gütern laufend Marktanteile. Gleiches gilt für den Personenfernverkehr. Nur der SPNV konnte seine Verkehrsleistung deutlich steigern. Es gelang weder eine Abbremsung des Verkehrswachstums noch eine Verlagerung von Straße und Luft auf Schiene und Wasserwege. Auch die Umweltbelastung des Verkehrs ist insgesamt nicht gesunken. Elf Prozent Zuwachs bei den C02-Emissionen im Zeitraum 1990 bis 1998 und eine weiter steigende Belastung mit Partikelemissionen sprechen eine deutliche Sprache.

Der vom Bundeskabinett im November 2000 verabschiedete Verkehrsbericht 2000 liefert eine nüchterne Darstellung der Verkehrsentwicklung. Die Prognose (S. 61) verheisst nichts Gutes Bis 2015 wird gegenüber 1997 eine Verdoppelung des Luftverkehrs sowie ein weiteres Wachstum des MIV von bis zu 22 Prozent und des Güterverkehrs um 64 Prozent erwartet. Folge: ohne steuernden Eingriff der Politik sinkt z.B. der Anteil des Schienengüterfernverkehrs weiter von 20 auf etwa 16 Prozent, während gleichzeitig der Verkehrsträger Straße unter einer von 236 Mrd. tkm auf 422 Mrd. tkm anschwellenden Güterverkehrslast zusammenzubrechen droht.

Welche Lösungsperspektiven bietet der Bericht? Um es vorwegzunehmen, er bietet im Kern nichts, was über das politische „business as usual“ hinausweist. Zwar wird der Anspruch erhoben, Eckpunkte für das Konzept einer integrierten Verkehrspolitik, die „den Erfordernissen der Nachhaltigkeit gerecht wird“ vorzustellen. Eingelöst wird dieser Anspruch jedoch nur symbolisch durch die vorgesehene Einrichtung eines „Zukunftsdialogs Mobilität“. Fehlanzeige dagegen dort, wo es um substanzielle Weichenstellungen Richtung Nachhaltigkeit ginge. Ein Szenario mit Abbremsung des MIV-Wachstums auf 2 – 3 Prozent und deutlicher Verkehrsverlagerung auf die Schiene wird als „Überforderungsszenario“ verworfen, da es die Einführung einer Auto-Maut bedingen würde. So beantwortet der Bericht weder die Frage, wie das dem Verkehrsbereich bis 2005 vorgegebene C02-Reduktionsziel von 15 – 20 Mio Tonnen konkret erreicht werden soll, noch ist bei der Bahn ein schlüssiges Konzept erkennbar.

In welchem Maße die Bundesverkehrspolitik hinter ihren Möglichkeiten zurückbleibt, wird am Scheitern der Bahnreform besonders deutlich. Während Politik beim Bauch-Thema „Auto“ Politik, die mehrheitsfähig bleiben will, nur über eingeschränkte Handlungsmöglichkeiten verfügt, gilt diese Beschränkung bei der Frage nach der Zukunft der Bahn kaum. Schon in der Vergangenheit wäre eine Politik, die nicht nur feierliche Pro-Bahn-Bekenntnisse ablegt, sondern auch entsprechend handelt, möglich gewesen. Die Frage, welche Bahn wollen wir, stellt sich nicht erst jetzt, wo der Staatskonzern DBAG statt schwarzer tiefrote Zahlen schreibt. Sie wurde nur nie ehrlich beantwortet. Wer eine Bahn will, die ohne öffentliche Mittel auskommt, muss sagen, dass dies auch bei notwendigem Wettbewerb auf der Schiene eine Rumpfbahn sein wird, d.h. eine Bahn, die im wesentlichen nur auf den Hauptmagistralen verkehrt. Wer jedoch eine Bahn will, die auch in der Fläche als Rückgrat des öffentlichen Verkehrs einen relevanten Anteil am Verkehrsmarkt hält, der muss sich der Einsicht stellen, dass dieses Ziel nur erreichbar ist, wenn es im Verhältnis zu Straße und Luft faire Wettbewerbsbedingungen gibt und der Staat mit öffentlichen Mitteln dauerhaft eine leistungsfähige Infrastruktur gewährleistet. Das Schweizer Beispiel, wo der Schiene eine doppelt so hohe Bedeutung als Beförderungsmittel zukommt wie in Deutschland zeigt, welche Grundbedingungen für einen bahnpolitischen Erfolg erfüllt sein müssen. Dies reicht von der staatlich gesicherten Vorhaltung eines flächendeckenden Netzes hoher Qualität über die Gewährleistung fairer Wettbewerbsbedingungen bis zu einer Unternehmensführung, die anders als das Management der DBAG weiß, dass Rückzugsstrategien aus der Fläche das Gegenteil einer Vorwärtsstrategie sind.

Notwendig wären:

  • Halber Mehrwertsteuersatz (EG-weit die Regel)
  • Herauslösung des Streckennetzes aus dem Konzernverbund DBAG und Betrieb durch eine öffentliche Infrastrukturgesellschaft (Bund/Länder)
  • Investitionsvorrang für die Schiene
  • keine teuren Prestigeprojekte, dafür Ertüchtigung des Bestandsnetzes.

Eine in diesem Sinne konsequente Trendwende ist überfällig, aber nicht erkennbar. Der Verkehrsbericht begnügt sich mit allgemeinen Feststellungen. Auch die aus dem UMTS-Erlös für die Sanierung der maroden Schieneninfrastruktur in den Jahren 2001 – 2003 jährlich zusätzlich bereitgestellten 2 Mrd. DM bedeuten, so begrüßenswert der Schritt ist, nüchtern betrachtet lediglich die Rückkehr zur Geschäftsgrundlage der Bahnreform. Hier waren jährlich 9 Mrd. DM für Ausbau und Sanierung des Netzes vorgesehen. Der Verkehrsbericht vermerkt richtig, dass die Nichteinhaltung dieser Zusage ein Grund für das Scheitern der Bahnreform ist. (S. 27)

Besonderer Handlungsbedarf, nicht zuletzt auf europäischer Ebene, besteht auch angesichts des weiter explodierenden Straßengüterverkehrs. Die ab 2003 vorgesehene streckenbezogene Schwerverkehrsabgabe stellt gegenüber dem seit 1995 bestehenden System der zeitbezogenen Autobahnbenutzungsgebühr zwar einen Fortschritt dar. Die Abgabenhöhe von 25 Pf. je Lkw-km ist für die Entfaltung spürbarer Lenkungseffekte jedoch viel zu niedrig angesetzt. Die Schweiz traut sich (Volksabstimmung 1998) mit 1,30 DM je Lkw-km eine vielfach höhere Abgabe zu, deren Aufkommen zudem überwiegend dem weiteren Ausbau der Schiene zugute kommt. en soll.

Bleibt zu fragen, ob das, was Transnet-Chef Hansen jüngst auf dem Gewerkschaftstag seiner Organisation für die Bahnpolitik mutmaßte, nämlich dass es eine offizielle und eine verdeckte Strategie gibt (FR v. 30.11.2000), S. 12), nicht für die Verkehrspolitik insgesamt gilt. Jedenfalls liefert der Verkehrsbericht 2000 keine Anhaltspunkte dafür, dass nachhaltige Mobilität ein Ziel ist, dass von der rot-grünen Bundesregierung mit Ernsthaftigkeit verfolgt wird.

Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, Verkehrsbericht 2000. Integrierte Verkehrspolitik: Unser Konzept für eine mobile

Zukunft, Berlin November 2000; Der Bericht (76 S) sowie eine Kurzfassung (KF) steht im Internet als PDF-Datei bereit unter http://www.bmvbw.de. Wer über keinen Internetzugang verfügt, kann den Bericht auch als Broschüre erhalten (Fon 01888/300-0, Fax 01888/300-1942)

(Der Artikel erschien in Ökologische Briefe Nr. 25/26 v. 13.12.2000)