Gesundheitsreform: WHO-Befunde gegen deutsche Selbstgerechtigkeit

„The World Health Report 2000 aims to stimulate a vigorous debate about better ways of measuring health system performance and thus finding a successful new direction for health systems to follow. By shedding new light on what makes health systems behave in certain ways, WHO also hopes to help policy-makers weigh the many complex issues involves, examine their options and make wise choices.“ (WHO, Juni 2000)

Reformprozesse folgen, zumal in Deutschland, einem stets gleichen Verlaufsmuster. Auf die Problemleugnung folgt eine langdauernde Phase der Symptombekämpfung. Mögen die dabei ergriffenen Maßnahmen noch so ineffizient sein, aus der Perspektive stimmenmaximierender Politik haben sie den unschätzbaren Vorteil, notwendige strukturelle Eingriffe zunächst vermeiden zu können. Erst wenn sich die Symptombekämpfung durch immer kurzatmigere Maßnahmen selbst ad absurdum führt, entsteht ein Zwang, neue Weichenstellungen vorzunehmen. Dies war bei der Rentenreform so, wo Norbert Blüm als zuständiger Minister lange Zeit gebetsmühlenartig zu versichern wusste: „Die Renten sind sicher“. Und es ist bei der Gesundheitsreform kaum anders. Die Auflösung eines über lange Zeit bestehenden Reformstaus führt im konsensorientierten deutschen Politikmodell freilich in den seltensten Fällen zu mehr als einer Weiterentwicklung des bestehenden Systems durch Öffnung einiger neuer Korridore. So wird bei der Rentenreform mit dem Einstieg in eine ergänzende und zunächst freiwillige „private Altersvorsorge“ das bestehende System der beitragsfinanzierten gesetzlichen Altersrente stabilisiert, ohne dass an seinen Grundfesten – etwa durch Einführung einer steuerfinanzierten Grundrente – gerührt würde. Und auch bei der Gesundheitsreform, dem nächsten und verglichen mit der Rentenreform ungleich schwierigeren Sozialreformthema, wird es im Ergebnis kaum um mehr als die Stabilisierung bei Eröffnung einiger neuer Entwicklungskorridore gehen. Wohin diese Korridore führen, ob sie den Weg öffnen für notwendige Qualitätsverbesserungen bei weiterhin solidarischer Finanzierung oder ob sie nur der Wahrung von Standesinteressen dienen, das freilich ist die entscheidende Frage.

Dreh- und Angelpunkt der Gesundheitsreformdebatte ist für den Gesetzgeber seit nunmehr über 20 Jahren die Frage, wie die vermeintliche „Kostenexplosion im Gesundheitswesen“ gedämpft und Beitragsstabilität erreicht werden kann. Anfangs konnte er sich mit seinen Kostendämpfungsgesetzen jeweils noch eine gewisse Atempause bis zur quasi nächsten Legislaturperiode verschaffen. Mit der Zeit freilich verpuffte der Ausgabendämpfungseffekt der ergriffenen Maßnahmen immer schneller. Verfehlt wurde nicht nur das Ziel einer dauerhaften Stabilisierung der Finanzierungsbasis bei Begrenzung der Beitragssätze in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV); auch die wenigstens zeitweise Vertagung grundlegender Maßnahmen bis zur jeweils nächsten Legislaturperiode gelingt immer schlechter. Wer die Nachrichtenlage von der Gesundheitsfront des Jahres 2000 studiert, findet dies eindrucksvoll bestätigt. Obwohl die rot-grüne Bundesregierung mit ihrer Rumpfversion einer Gesundheitsreform 2000 – wesentliche Elemente wie die Einführung eines Globaldbudgets waren ja bekanntlich an der Bundesratsmehrheit gescheitert – durchaus richtige Akzente gesetzt hat, verdeutlichen die ungebremst weiterlaufenden Verteilungskämpfe nur allzu deutlich die Notwendigkeit einer grundlegenden Reform. Verteilungskämpfe toben innerhalb und zwischen den verschiedenen Akteuren des Gesundheitswesens von den Krankenkassen über die Kliniken und die Kassenärztlichen Vereinigungen (KV´s) bis zu den Apotheken. Da picken sich die Betriebskrankenkassen mit Erfolg die „guten Risiken“ heraus, während die AOK zunehmend ins Defizit rutscht. Da versucht Politik die Schieflage in der Finanzverteilung zwischen Ost und West und innerhalb der gesetzlichen Krankenkassen – hier die AOK, dort die Betriebskrankenkassen – mit Mitteln eines Risikostrukturausgleichs zu bekämpfen. Da überschreiten rd. die Hälfte der KV´s zum x-ten mal das nicht unter Rot-Grün, sondern bereits 1993 unter Schwarz-Gelb eingeführte Arzneimittelbudget, obwohl durch kritische Überprüfungen noch stets der Nachweis erbracht wurde, dass bei vernünftiger Verordnung das Budget sogar deutlich hätte unterschritten werden können – und trotzdem ist immer noch nicht absehbar, dass Politik endlich den Mut hat, sie in den dafür eigentlich vorgesehenen Regress zu nehmen Und da geht es immer wieder um Abrechnungsbetrug in Millionenhöhe, der eben nicht von den KV´s als Kontrollinstanz ärztlicher Selbstverwaltung, sondern von den Krankenkassen, die von wirksamer Kontrolle ja gerade ausgeschlossen sind, aufdeckt werden.

Nur Naivlinge können noch glauben, es gehe um das Wohl des Patienten. Es geht um Geld und Macht. Die Erhaltung und Steigerung der Qualität medizinischer Versorgung, Fragen einer besseren Prävention und die Optimierung von Diagnose und Behandlung sind leider sekundär.

Andere sind besser

Dass das deutsche Gesundheitssystem im internationalen Vergleich an der Spitze rangiert, ist in dem Kampf um Geld und Macht eine der bestgepflegtesten Legenden. Die ärztlichen Standesvertreter pflegen sie sowieso. Denn schließlich begründen sie ihren Kampf gegen die Ausgabendeckelung selbstredend nicht mit wirtschaftlichen Interessen, sondern mit der Sorge um den Erhalt der Spitzenqualität deutscher Gesundheitsversorgung. Und sie treffen sich hier – bei allen sonstigen Unterschieden – auch mit namhaften Gesundheitspolitikern wie dem ehemaligen gesundheitspolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Herrn Rudolf Dreßler, für den das deutsche Gesundheitssystem gleichfalls das Etikett „konkurrenzlos im internationalen Vergleich“ verdient.

Was ist dran an soviel Selbstlob? Wie ist es – international betrachtet – tatsächlich bestellt mit der Qualität und Leistungsfähigkeit des deutschen Gesundheitswesens? Wie hoch ist die Ausgabenintensität? Was wird damit bewirkt und was könnte bewirkt werden? In ihrem World Health Report 2000, der im Juli 2000 der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, unternimmt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) erstmals den Versuch, die Gesundheitssysteme ihrer 191 Mitgliedsländer hinsichtlich ihrer Gesamt-Performance einer Bewertung zu unterziehen. Definiert werden dafür die Zielbereiche Gesundheitsstand der Bevölkerung nach Niveau und Verteilung, Kosten und Finanzierung der Gesundheitsleistungen sowie die Leistungsfähigkeit und Kundenorientierung. Mit insgesamt 5 Indikatoren wird abzubilden versucht, wie das Gesundheitsniveau im Durchschnitt und in der Verteilung nach wirtschaftlichem Status ist, inwieweit die Gesundheitsleistungen den unterschiedlichen Erwartungen in der Bevölkerung entsprechen und in welchem Maße die Finanzierung sich an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit orientiert. Die so ermittelte Position bei der Zielerreichung wird dann in Beziehung gesetzt zu den standardisierten Pro-Kopf-Ausgaben. Dies ergibt die Gesamt-Performance.

Neben Frankreich, das zum Gesundheitsweltmeister gekürt wurde, kamen beim Performance-Ranking der WHO mit Italien (2), Österreich (4) und Spanien ((7) drei weitere EG-Länder sowie die europäischen Zwergstaaten Andorra (4), Malta (5) und San Marino (3) unter die Top-Ten. Norwegen (11), Griechenland (14), Island (16), Luxemburg (17), die Niederlande (17), Großbritannien (18), Irland (19) und die Schweiz (20) kamen immerhin noch unter die 20 ersten. Deutschland dagegen landet mit Platz 25 nur im hinteren Mittelfeld. Am schlechtesten unter den hochentwickelten Industrieländern schneidet die USA ab (Platz 37), während es Japan auf Platz 10 bringt.

Das für Deutschland beschämende Abschneiden ist nicht den Indikatoren Leistungsfähigkeit, Patientenorientierung und solidarische Lastenverteilung geschuldet. In diesen Bereichen werden vordere Plätze belegt. Es resultiert vielmehr aus der Diskrepanz zwischen sehr hoher Ausgabenintensität und mageren Resultaten bei der allgemeinen Volksgesundheit und ihrer Verteilung. So leistet sich Deutschland – und dieses Ergebnis ist nicht neu – weltweit das nach den USA in Relation zum BSP zweitteuerste und in Pro-Kopf-Ausgaben nach der Schweiz noch drittteuerste Gesundheitssystem. In Kaufkraftrelationen gemessen wurde 1997 Pro-Kopf schätzungsweise jeweils fast doppelt soviel ausgegeben wie in Spanien oder Großbritannien, knapp 40% mehr als in Norwegen und immerhin noch gut 20% mehr als in Österreich oder Schweden. Alle diese Länder erreichen jedoch bei der Volksgesundheit gleichwohl bessere Werte. Während Deutschland auf Platz 22/20 (Niveau/Verteilung) kommt, erreicht Schweden Platz 4/28, Spanien Platz 5/11, Großbritannien Platz 14/2, Norwegen Platz 15/4 und Österreich Platz 17/8.

Die Botschaft ernst nehmen

Internationale Vergleiche sind ein schwieriges Geschäft, zumal, wenn es um ein so komplexes Gebiet wie die Gesundheit geht. Wie stets bei Bewertungsversuchen geht es um die Frage, wie angemessen die Indikatoren sind, ob überhaupt das gemessen wird, was man zu messen vorgibt, ob die Gewichtung schlüssig ist, die Ergebnisse signifikant sind usw. Das von der WHO entwickelte Grundkonzept mit seinen 5 Zielindikatoren scheint der Komplexität des Gegenstandes durchaus angemessen.

Es ist billig, mit Verweis auf einzelne zunächst absurd anmutende Ergebnisse, die konstruktive Auseinandersetzung, zu der die WHO ja explizit eingeladen hat, zu verweigern. Dass Kolumbien, weil Spitzenreiter in solidarischer Lastenverteilung in der Gesamtbewertung besser abschneidet als Deutschland, ist sicher schwer nachvollziehbar, als exotisches Teilergebnis für die deutsche Debatte jedoch völlig irrelevant.

Der WHO-Report hat zwangsläufig nur eine begrenzte Aussagekraft, schließlich geht es nicht um absolute Wahrheiten. Bei aller Notwendigkeit, Methodik und Ergebnisse kritisch zu hinterfragen, ist jedoch schon das Unternehmen an sich zu begrüßen. Immerhin wurde damit Neuland betreten. Und es gibt im methodischen Ansatz auch manchen Fortschritt. So verfällt der Report nicht in den Fehler, an Kennzahlen wie der Arzt- oder Krankenhausbettendichte die Leistungsfähigkeit eines Gesundheitssystems messen zu wollen und vermeidet zudem die meist gängige Ausblendung von Verteilungsaspekten. Volksgesundheit – auch dies ist ein interessanter Ansatz – wurde nicht mehr einfach anhand der allgemeinen Lebenserwartung der Geschlechter gemessen. Der neu entwickelte DALE-Indikator („Disability Adjustet Life Expectancy“) versucht vielmehr ein Wahrscheinlichkeitsmaß dafür anzugeben, wieviel Lebenszeit die Menschen in den verschiedenen Mitgliedstaaten im Durchschnitt und abhängig von ihrem wirtschaftlichen Status bei guter Gesundheit verbringen d.h. nicht krank und nicht in medizinischer Dauerbehandlung sind. Die allgemeine Lebenserwartung ist hier zwar die Bezugsgröße. Von ihr werden jedoch die Jahre abgezogen, die durch Krankheit und medizinische Dauerbehandlung geprägt sind.

Was können wir lernen?

Zunächst, es kann nicht darum gehen, eine Systemdebatte zu führen. Nirgends existiert ein isoliertes Gesundheitssystem, das sich 1:1 in einen anderen Systemkontext verpflanzen ließe. Deutlich wird dies schon am Einfluss unterschiedlicher Esskulturen – ein Teil des guten Abschneidens der mediterranen Länder und Japans beim DALE-Indikator lässt sich darüber erklären. Dass jedoch unter den hochentwickelten Industrieländern diejenigen, die über ein steuerfinanziertes, staatliches Gesundheitssystem verfügen, gerade unter Gesichtspunkten der Kosteneffizienz besser abschneiden als Staaten mit beitragsfinanziert-selbstverwalteten Systemen, von den USA mit ihrem stark marktwirtschaftlich geprägten System ganz zu schweigen, sollte gleichwohl all denjenigen zu denken geben, die immer und überall das hohe Lied auf die vermeintlich prinzipielle Überlegenheit marktlicher Steuerung anstimmen. Dass die USA bei der Gesamt-Performance einen miserablen Platz 37 und beim Gesundheitszustand der Bevölkerung auch nur Platz 24 erreichen, spricht nicht dafür, das Gut Gesundheit den Marktkräften zu überantworten. Die USA haben eine Spitzenleistungsfähigkeit (Platz 1) für alle die, die es sich leisten können. Insgesamt führt das System mit seinem besonders hohen Anteil privater Gesundheitsausgaben jedoch zu extremer Ineffizienz und einer medizinischen Spaltung, bei der benachteiligte Bevölkerungskreise eine ähnlich schlechte medizinische Versorgung erfahren wie sie sonst nur für Dritte-Welt-Länder typisch ist.

Der WHO-Report widerlegt grundsätzlich auch all diejenigen, die mit der Argumentation drohender Rationierung den Kampf für „Mehr Geld ins System“ führen. Unbestreitbar gibt es kostensteigernde Effekte aufgrund des demographischen Wandels und der Zunahme von teurem medizinischem Fortschritt. Doch diese Faktoren stellen auch andere hochentwickelte Länder vor Probleme und taugen kaum als Ausrede dafür, die in Deutschland nicht erschlossenen erheblichen Sparpotentiale auch weiterhin nicht zu erschließen. Solange nirgends in Europa so viel geröntgt wird wie bei uns, solange pro Kopf wesentlich mehr und teurere Medikamente verordnet werden als in Ländern, die bei der Volksgesundheit besser abschneiden und Ärzte bei „normalen“ Patienten viel häufiger zum OP-Messer greifen als bei ihresgleichen, solange wäre die Öffnung neuer Geldventile im Ergebnis kontraproduktiv. In anderen hochentwickelten Ländern wird mit weniger Geld mehr für die Gesundheit der Bevölkerung erreicht wird. Und dies ist ein nur zu deutliches Indiz dafür, dass das deutsche System nicht an zu wenig Geld, sondern an der Fehlleitung der eingesetzten Mittel krankt. Der WHO-Report liefert jedenfalls gute Argumente dafür, dass mit den vorhandenen finanziellen Ressourcen ein wesentlich besserer Outcome an Gesundheit erreicht werden könnte, wenn statt unter Ausgabendeckeln Verteilungskämpfe nach der Spielregel „Der Mächtigste gewinnt“ zu führen, endlich die wirklich entscheidenden Maßnahmen Richtung einer Offensive für mehr Qualität, Qualitätskontrolle und Stärkung der Präventionsorientierung ergriffen würden. Im Vergleich mit Ländern wie Frankreich, Schweden und den Niederlanden krankt das deutsche Gesundheitssystem an einer weitgehenden Entkoppelung zwischen Finanzierung und Leistungserstellung, an der mangelnden Verzahnung der verschiedenen Leistungsbereiche und einer Krankheits- statt Gesundheitsorientierung einschließlich fehlender Qualitätssicherung und Erfolgskontrolle entlang von Behandlungsleitlinien. Wo es angesagt wäre, die verschiedenen Bereiche (ambulante Versorgung, stationäre Versorgung, nach-stationäre Versorgung) im Sinne einer Ergebnisoptimierung miteinander zu verzahnen, leisten wir uns eine weitgehende Abschottung bis hin zum Gegeneinanderarbeiten. Dies führt zu teuren Doppeluntersuchungen, zum Bruch von Behandlungsketten und bei vielen Krankheiten zur suboptimalen Behandlung. Politik hat bei ihrer Symptombekämpfung diese Probleme bislang nur verschärft statt wirksam Korridore für neue Entwicklungen zu eröffnen. So war es ein schwerer Fehler, sich in den neuen Ländern weitgehend von den Polikliniken zu trennen und das 1993 eingeführte Sektoralbudget hat die Abschottung noch zusätzlich zementiert.

Auch das auf der Vergütung von Einzelleistungen basierende ärztliche Honorarsystem, ebenso die Privatliquidation der Chefärzte setzt falsche Anreize und hat sich längst als therapieresistent erwiesen. Für den ärztlichen Geldbeutel ist die in Deutschland praktizierte Art der Vergütung zwar von unbestreitbarem Vorteil, sichert sie doch die im europäischen Vergleich üppigen Einkommen niedergelassener Fachärzte sowie der Chefärzte in den Kliniken, während die nachgeordneten Krankenhausärzte nicht selten regelrecht ausgebeutet werden. Der Allgemeinheit beschert das System freilich die Vergeudung von Ressourcen durch Über- und Fehltherapierung. Es bestraft diejenigen Ärzte, die überflüssige Untersuchungen und Behandlungen vermeiden und sich mit Erfolg um eine rasche Gesundung ihrer Patienten bemühen und belohnt diejenigen, die genau das Gegenteil tun.

Mit dem Ziel, das deutsche Gesundheitssystem in die erste Liga zu führen, könnte der WHO-Report mit Anstoss sein bei der überfälligen Öffnung von Korridoren Richtung nicht nur der weiteren Erprobung, sondern der festen Etablierung neuer Versorgungsformen von fachgebietsübergreifenden Gemeinschaftspraxen und Hausarztmodellen bis zur ergebnisorientierten Integration der ambulanten und stationären Krankenversorgung bei gleichzeitiger Etablierung neuer Vergütungsformen abseits der bestehenden Honorarordnung. Dazu freilich bedarf des der Entschlusskraft des Gesetzgebers, richtige Weichenstellungen auch gegen ärztliche Standespolitik durchzusetzen. Und „Durchsetzen“ – das ist eben mehr als nur die gesetzliche Verankerung der „richtigen Überschriften“. Die richtigen Überschriften gibt es bereits. Die Erprobung integrierter Versorgungsformen im Wege von Modellversuchen wurde beispielsweise 1997 rechtlich ermöglicht. Bislang jedoch ist dies eher ein Feigenblatt, da konkrete Projekte nur unter dem Dach notwendiger Rahmenvereinbarungen zwischen Kassenärztlicher Bundesvereinbarung und den Spitzenverbänden der Krankenkassen resp. von KV`S und Krankenkassen zustande kommen können. Die Gesundheitsreform 2000 hat trotz einiger Lockerungen daran grundsätzlich nichts geändert. Mit einer zügigen Etablierung integrierter Versorgungsformen ist so nicht zu rechnen; hier bedarf es stärkerer Anreize und einer weitgehenden Deregulierung in den Vertragsvorschriften zwischen Kassen und Leistungserbringern. Die Qualitätssicherung ist seit der Gesundheitsreform 2000 sogar gesetzliches Gebot. Reine Illusion ist es freilich, dass Qualitätssicherung nach dem Stand evidenz-basierter Medizin über die bestehenden, vermachteten Selbstverwaltungsstrukturen tatsächlich vorankommt. Nötig wäre hier eine unabhängige, nicht als Papiertiger angelegte Kontrollinstitution sowie die Etablierung von Qualitätsstandards, die von Patienten eingeklagt werden können. Die Schweiz geht diesen Weg bereits.

Cornelia Heintze

Unter der Überschrift „Gesundheitsreform: Andere sind besser“ erschien der Artikel leicht gekürzt in der Ausgabe 11/2000 der Blätter für deutsche und internationale Politik, S. 1302 – 1307

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